Keine Hoffnung, in die Hölle zu kommen.

 

Dass nichts spannender ist als das Erlebnis der Hölle -  dies ist vielleicht die einzige Erfahrung, über die, unter Christen, ökumenisches Einverständnis herrscht. So hat es John Milton, der bedeutendste protestantische Dichter, dargestellt in „Paradise Lost“. Ihre grandiose Dramatik gewinnt ja Miltons Dichtung nur dadurch, dass sie eben nicht im Paradies anhebt, sondern in tiefster Hölle mit dem Aufstand Satans. Deutlich spürbar ist bei Milton sogar so etwas wie heimliche Bewunderung, Achtung jedenfalls für den Engel, der den Mut hat, zu rebellieren gegen Gott. Und ähnlich, lang zuvor, in Dantes „Göttlicher Komödie“. Dass der erste Band der Trilogie, das „Inferno“, den katholischen Dichter weit stärker inspiriert hat als danach „Fegefeuer“ und „Paradies“, dies scheinen  vom Hörensagen sogar jene zu wissen, die selber die „Göttliche Komödie“ nicht gelesen haben.

Leider hat sich etwas anderes in letzter Zeit nicht mehr so allgemein herumgesprochen: Noch bevor er abstieg zu den Verdammten, hat Dante etwas erlebt, was an Beklemmung die Hölle selber bei weitem übertrifft.

 

Ganz oben war das, noch am Höllentor. „In sternenloser Nacht“ sah dort der Dichter Menschen ohne Zahl jammervoll im Kreise treiben „wie Sand gejagt in einem Wirbelsturme“. Mit wilden Schmerzenslauten, bald gellend, bald heiser, betteln sie verzweifelt um Einlass. Doch der Teufel lässt sie in die Hölle nicht herein.

 

Dies seien Seelen, fährt Dante fort, „die nie gelebt haben“. Jetzt hätten diese Unglückseligsten von allen nicht einmal mehr Hoffnung auf Einlass in die Hölle.

 

Was aber sind das, „Menschen, die nie gelebt haben“? Das sind „die lauen Seelen“. Menschen, die nie für etwas gekämpft haben, die sich nie für etwas eingesetzt habe, die weder für das Gute gekämpft, noch für das Böse rebelliert haben. In allem immerzu darauf bedacht, unparteiisch zu bleiben, haben sie nie in ihrem Leben eine Entscheidung gefällt. Jetzt, im Jenseits, irren die „lauen Seelen“ ewig heimatlos herum. „Der Himmel“, sagt Dante, „will sich nicht mit ihnen schänden.“ Doch auch dem Teufel graust´s vor solchen Menschen so, dass er vor ihnen das Höllentor verschliesst. Wohl steht über diesem Tor als letzte Warnung geschrieben: „Hier ist der Eingang zum verlorenen Volke.“ Und doch kreisen die lauen Seelen ruhelos um eben dieses Tor, ewig getrieben von dem ewig unerfüllbaren Wunsch: endlich doch Partei zu sein, endlich doch zu jemandem zu gehören, und sei es zu den Verlorenen in der Hölle.

 

So stellt es Dante dar im dritten Gesang des Inferno. Warum mir das einfällt? Weil ich gerade lese, dass 85% unserer Zeitgenossen nicht die geringste Angst haben, jemals in die Hölle zu kommen. Diese Sorglosigkeit ist zweifellos berechtigt. Dennoch ist sie trügerisch. So wie die meisten von uns leben, laufen wir im Gegenteil Gefahr, dereinst „wie Sand vom Wirbelsturm getrieben“ in alle Ewigkeit zu kreisen vor verschlossenem Höllentor.